November 2019
Maskieren
Fusili
Sauftour
Liebes Tagebuch
1
Liebes Tagebuch,
So fängt man doch an, richtig? Ich habe bislang nie eines geführt. Aber ich muss jemandem erzählen, was in dem Haus gegenüber passiert ist. Ich muss einfach! Selbst, wenn ich mich allein meinem Tagebuch anvertrauen kann.
Niemandem kann ich davon erzählen. Das ruft es, verstehst du? Ich weiß nicht einmal, ob ich darüber schreiben darf. Aber das ist mir egal. Vermutlich ist ohnehin längst alles zu spät. Gott, mein Kopf! Mir ist nicht klar, was real ist und was nicht. Spinnen in meinem Gehirn. Sie krabbeln umher, formen Netze, die meinen Verstand umnebeln.
Es ist hier. Beobachtet. Ich muss mich beeilen!
Ich hoffe sehr, niemand wird dich finden, liebes Tagebuch. Falls doch, sei diese Person gewarnt: Ich bin in dem Haus dem Bösen begegnet.
Und habe es freigelassen.
Christoph und seine Mutter zogen keine Woche nach dem Tod des Vormieters ein. Am Ableben von Herrn Marsch war nichts Außergewöhnliches. Er war alt und eines Nachts blieb sein Herz einfach stehen wie bei einer Uhr, deren Batterien verbraucht waren. Tick-tack. Tick. Tack … Tick. Stille.
Der Einzug ging lautlos vonstatten. Am Abend stand die Wohnung leer, am nächsten Morgen parkte ein Kombi in der Einfahrt und vor den Fenstern hingen schwere Vorhänge. Irgendwie war es den beiden gelungen, all ihre Möbel in die Wohnung zu schaffen, ohne die Nachbarn zu wecken.
Das war kurios, aber faszinierend zugleich. Die Neugier begleitete mich schon mein ganzes Leben. Ich wollte diese seltsamen Leute kennenlernen, die in das alte Haus von gegenüber gezogen waren, mit den schiefen Wänden und dem porösen Dach.
Ich hatte immer gedacht, nach Herrn Marschs Ableben, würde das Haus abgerissen werden. Es erschien selbst wie ein Greis und jedes Mal, wenn ich daran vorbeilief, erwartete ich, ein Ächzen zu hören wie das alter Leute, sobald sie gezwungen waren, aufzustehen.
Ich war ein junger Mann. Gerade 20 geworden und immer auf der Suche nach neuen Kontakten. Alles um mich herum faszinierte mich, besonders die Menschen. Ich wollte wissen, was in ihnen vorging, sie verstehen.
An jenem Morgen verließen Marie, meine frisch angetraute Ehefrau, und ich mit einem selbstgebackenen Brot das Haus und überquerten die Straße. Vor der Wohnungstür der neuen Nachbarn blieben wir stehen und drückten das Klingelschild auf dem noch immer ›Marsch‹ stand.
Marie war ebenso aufgeregt und neugierig wie ich. Wir waren seit unserer Kindheit miteinander befreundet und im letzten Jahr, hatte ich ihr endlich einen Antrag gemacht. Unserer Eltern hielten diese Entscheidung für zu überstürzt, doch wir waren uns unserer Liebe sicher. Das genügte, und wir fanden eine Wohnung. An Geld mangelte es uns glücklicherweise nicht.
Am Fenster bewegte sich der Vorhang, kurz darauf näherte sich eine Gestalt der Haustür und öffnete sie. Ein Mann stand uns gegenüber. Durch seinen Vollbart war es mir unmöglich, sein Alter zu schätzen. Im ersten Moment hielt ich ihn für unter 18, doch er sah schrecklich müde aus, was mich an meinen überarbeiteten Vater erinnerte.
»Ja?«
»Hallo«, ergriff Marie das Wort. »Wir wohnen gleich da vorne.« Sie zeigte hinter sich. »Ich bin Marie und das ist Stephen.«
»Hi!« Ich hob grüßend die Hand.
»Christoph«, sagte der Mann und musterte mich.
Marie hielt ihm den Korb hin. »Wir haben euch Brot gebacken. Ein Einzugsgeschenk.«
»Sie backt ganz hervorragend«, sagte ich im Plauderton. »Manchmal da mischt sie dieses …«
»Pst, Liebling, verrate nicht meine geheime Zutat.«
Wir kicherten.
Eine kurze Pause entstand. Christoph bat uns nicht hinein, aber er sah mich noch immer aufmerksam an, fast als überlegte er, ob wir uns kannten. Oder als hätte er Interesse an mir. Irgendetwas an diesem Blick gefiel mir nicht. Er war zu stechend, zu … Etwas rumpelte im Haus, ein markerschütternder Schrei folge.
Marie und ich fuhren zusammen.
»Was war das?«, fragte sie.
»Meine Mutter ist krank«, sagte Christoph knapp. »Entschuldigung, aber ich muss jetzt zu ihr gehen. Danke für das Brot.« Er trat einen Schritt zurück und schloss die Tür.
Marie und ich rührten uns nicht.
»Was war das?«, fragte sie erneut.
»Keine Ahnung.« Aber ich wollte es herausfinden.
2
So leicht gaben wir nicht auf. Die Neugier hatte uns gepackt und außerdem machten wir uns Sorgen, dass Christoph mit der Pflege seiner Mutter überfordert sein könnte.
Am nächsten Tag klingelten wir erneut. Christoph sah aus, als hätte er die ganze Nacht kein Auge zugetan.
»Ja?«, fragte er und versperrte uns mit seinem schmächtigen Körper die Sicht ins Haus.
»Hat das Brot geschmeckt?«, fragte ich.
Christoph nickte.
»Das ist toll. Hör zu, wir leben hier in einer gesunden Nachbarschaft, in der sich die Menschen kennen und wir würden dich und deine Mutter ebenfalls gerne kennenlernen.«
Christoph sagte nichts, also ergriff Marie das Wort: »Dürfen wir reinkommen?«
Er schaute zwischen mir und meiner Frau hin und her, dann trat er zur Seite. Nachdem er uns direkt ins Wohnzimmer geführt hatte, bot er uns an auf dem Sofa platzzunehmen und fragte, ob wir etwas trinken wollten.
»Ich habe nicht viel im Haus«, fügte er hastig hinzu.
»Ein Wasser genügt mir«, sagte Marie. Ich bat um Kaffee.
Christoph reichte uns die Getränke und setzte sich gegenüber von uns auf den Sessel. Die Situation war angespannt und keiner wusste so recht, etwas zu sagen.
»Meine Mutter wird nicht kommen. Sie liegt oben im Bett.«
Ich blickte zu der Wendeltreppe am anderen Ende des Zimmers. Oben war es vollkommen düster. Auch das Wohnzimmer war nicht außerordentlich hell. Ein Kronleuchter schwebte über uns, der nur wenig Licht spendete. Die beiden hatten es anscheinend lieber dunkel. Ich musste an Vampire denken und unterdrückte ein dümmliches Grinsen.
»Deine Mutter ist wohl sehr krank?«, fragte Marie.
Christoph nickte.
»Was hat sie denn?«
Ich sah Marie an, die meinen Blick kurz erwiderte. Unruhig rutschte sie auf dem Sofa hin und her. »Entschuldige, das geht uns natürlich nichts …«
»Sie ist nicht ganz bei sich«, sagte Christoph, dem die Frage allen Anschein nach nicht unangenehm gewesen war. Er wirkte weiterhin steif und abwesend. Krallte schon seit er sich gesetzt hatte, die Finger in die Armlehnen und verzog keine Miene.
Hatte er Angst?
Oben rumpelte es und wir blickten erschrocken zur Treppe.
Ich kaute auf meiner Unterlippe herum. Psychische Störungen waren nicht ohne. Vielleicht litt die Frau unter einer Persönlichkeitsspaltung oder heftigen Gefühlsschwankungen, die in Aggressionen umschlugen. Die Situation wurde mir langsam unheimlich und ich berührte Maries Hand, um ihr zu deuten, dass wir besser gehen sollten. Sie hatte recht gehabt, das alles ging uns nichts an. Wenn Christophs Mutter tatsächlich schwer krank war, gab es sicher Pfleger, die sich um sie kümmerten und ihn unterstützten. Er konnte das unmöglich alleine tun.
Christophs Blick war in die Ferne gerichtet und wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte man ihn genauso für eine lebensgroße Puppe halten können. Ich merkte, wie sich Maries Hand in meiner Versteifte. Sie sah immer noch zur Treppe. Ich folgte ihrem Blick – und erschrak.
Am Treppenabsatz stand eine Frau. Sie war mit einem weißen Nachthemd bekleidet. Das Haar – bereits vollständig ergraut – hing ihr in fettigen Strähnen im Gesicht, sodass der größte Teil davon verborgen blieb. Sie starrte in unsere Richtung.
»Oh, hallo«, sagte ich. Meine Stimme zitterte.
Christoph rührte sich weiterhin nicht, fast als hätte er gar nicht bemerkt, dass seine Mutter, das Bett verlassen hatte.
Marie sprang auf. Die Frau an der Treppe folgte ihrer Bewegung mit dem Kopf. Ich stand ebenfalls auf, ohne mich abzuwenden. Die Alte schien nur Interesse an Marie zu haben.
Das genügte, ich zog an ihrer Hand und sie folgte mir bereitwillig. Im Türrahmen blieb ich stehen und drehte mich noch einmal um. Marie lief weiter Richtung Flur. Die Frau beobachtete jeden ihrer Schritte und selbst, als die Haustür geöffnet wurde und Marie somit aus ihrem Blickfeld verschwunden war, starrte sie weiterhin dorthin.
»Danke, für die Einladung«, sagte ich mit dünner Stimme und eilte zur Tür. Dort wäre ich beinahe in Marie gerannt, die auf mich wartete. Sie war blass und ihre Augen schreckgeweitet. Ohne ein weiteres Wort gingen wir auf die Straße und schlossen die Tür hinter uns. Bloß schnell weg.
»Scheiße, was war das denn?«, keuchte ich.
Marie schüttelte den Kopf.
»Die Alte hat mir eine Heidenangst eingejagt. Da gehen wir nie wieder hin.«
Jetzt nickte sie, wirkte aber immer noch völlig verängstigt. Ich legte einen Arm um sie und gemeinsam überquerten wir die Straße.
»Sie hat nur mich angestarrt«, flüsterte Marie. »Warum hat sie nur mich angestarrt?«
Ich wusste keine Antwort darauf, drückte tröstend ihren Arm und gab ihr einen Kuss auf den Haaransatz.
3
Bald darauf wurde Marie krank.
Niemand wusste, was ihr fehlte. Kein Arzt konnte uns helfen und nur wenige Wochen nach dem Ausbruch der Krankheit, die Schlappheit, Appetitlosigkeit und Fieberträume mit sich führte, fiel sie ins Koma und starb.
Ich ertränkte meinen Kummer. Besuchte eine Bar nach der anderen, startete eine Sauftour nach der nächsten. Gegessen habe ich wochenlang kaum etwas. Ich ernährte mich ausschließlich von Nudeln und Alkohol bis sie mir zum Hals raus hingen. Noch heute dreht sich mir der Magen um, wenn jemand nur ›Fusilli‹ erwähnt.
An einem stürmischen Abend, ich war wieder einmal betrunken, torkelte ich über die Straße und klopfte an Christophs Tür. Ich hatte geweint, war wütend und ein Teil von mir, gab ihm und seiner Mutter die Schuld an Maries Tod. So absurd dieser Gedanke auch war, gab es dennoch eine Ahnung in mir, ein leises Wispern, das mir sagte, Christophs Mutter hätte Marie verhext.
Noch während ich mit den Fäusten gegen das Holz hämmerte, beschlichen mich erste Zweifel. Was machte ich hier eigentlich? Was, wenn jemand die Polizei rief? Gerade, als ich mich davonstehlen wollte, öffnete sich die Tür.
Christoph schien wie ausgewechselt. Er lächelte freundlich und bat mich direkt ins Haus. Im Flur war es deutlich kälter als draußen, sodass ich fröstelte. Der Alkohol in meinem Blut schien von der Kälte absorbiert zu werden und ich fühlte mich mit einem Schlag nüchtern.
»Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?«, fragte Christoph.
»Nein, danke«, antwortete ich. Ich hatte wütend klingen wollen, da meine Stimme jedoch zitterte und noch vom Weinen belegt klang, hörte ich mich eher flehend an.
»Schön, dass du da bist. Ich möchte dir gerne etwas zeigen.« Christoph lief zur Treppe und streckte den Arm zu einer einladenden Geste aus.
Ich stutzte. Christophs Fröhlichkeit verunsicherte mich. Hatte er von Maries Tod etwa nichts mitbekommen? Die ganze Nachbarschaft wusste Bescheid. Kümmerte es ihn nicht?
Und warum war er plötzlich so überfreundlich? Wollte sogar, dass ich nach oben gehe?
»Komm schon, ich beiße nicht«, sagte Christoph und grinste.
Ich schaute die Treppe hinauf und fröstelte wieder.
»Mutter geht es schon viel besser«, fuhr er fort. »Sie möchte dich gerne richtig begrüßen und sich für ihr Verhalten vom letzten Mal entschuldigen.«
Aha. »Warum kommt sie dann nicht runter?«
»Ich sagte, es geht ihr besser, nicht gut. Manchmal ist sie klar, manchmal nicht. Die klaren Momente muss man ausnutzen.« Er grinste immer noch und ich musste unwillkürlich an einen Ball denken, bei dem sich die Menschen maskieren, um jemand anderer zu sein. Hatte Christoph beim letzten Mal eine Maske getragen oder jetzt?
Mein Instinkt sagte mir, ich sollte schnellstens verschwinden. Irgendetwas stimmte nicht. Trotzdem ließ ich mir nichts anmerken. Man könnte von Neugier sprechen und zum Teil war das sicher auch der Fall, aber die Wahrheit ist, mir war alles egal. Ich hatte die Liebe meines Lebens verloren. Meine Eltern hatten sich von mir abgewandt. Was blieb mir noch?
Christoph führte mich zu einer weiteren Tür.
»Nur zu«, sagte er. »Geh rein. Mutter erwartet dich.«
Ich zögerte.
Er ging an mir vorbei und öffnete die Tür. Schwärze tat sich vor uns auf.
»Wie kann sie mich erwarten, wenn ich …«
Da gab Christoph mir einen Stoß, sodass ich ins Zimmer stolperte und schloss die Tür hinter mir. Ich stürzte und landete auf den Knien.
Sofort hielt ich mir die Hand vor Mund und Nase. Zum einen, um meinen schnaufenden Atem zu dämpfen, zum anderen, um den Gestank abzuschwächen, der das Zimmer erfüllte. Ein beißender Mief nach Urin und ungewaschener Haut. Und irgendetwas schien hier drinnen zu verfaulen.
Immer noch mit der Hand vor dem Mund krabbelte ich zur Tür und tastete nach der Klinke. Sie ließ sich nicht öffnen. Christoph hatte mich eingesperrt.
Ein Rascheln. So als bewegte sich jemand unter seiner Bettdecke. Dann das Geräusch nackter Fußsohlen auf Laminat.
Ich rüttelte an der Türklinke. Ich musste hier raus. Die Schritte näherten sich mir. Ich hob die Faust und schlug gegen die Tür.
Der Sturm draußen verwandelte sich in ein Gewitter. Donner fegte durch das Haus und verwandelte meinen Körper in Gummi. Ich blickte hinter mich in die Finsternis, versuchte, etwas zu erkennen. Da folgte der Blitz. Für den Bruchteil einer Sekunde erhellte er das Zimmer und ich konnte einen Blick auf die Gestalt erhaschen, die sich mir näherte.
Die Frau trug ein weißes Gewand. Ihre Arme hielt sie leicht vom Körper abgespreizt. Das Haar verdeckte ihr Gesicht. Sie schlurfte auf mich zu, in kurzen, abgehackten Bewegungen.
Sofort sprang ich auf die Beine und rammte die Schulter gegen die Tür, wieder und wieder. Nichts passierte. Etwas Kaltes berührte meinen Nacken. Da endlich schwang die Tür auf und ich fiel der Länge nach in den Flur.
Wie ein aufgeschrecktes Kaninchen blickte ich in das dunkle Zimmer, es schien leer zu sein.
»Was soll das!«, kreischte Christoph. Er packte mich bei den Haaren und zerrte mich Richtung Zimmer.
»Rein da!« Er klang völlig hysterisch. »Sofort! Sie braucht neues Fleisch!«
Ich stieß ihn von mir, versetzte ihm einen Tritt, sodass er dieses Mal im Zimmer landete. Augenblicklich rappelte er sich auf, ich gab der Tür einen Stoß und hielt sie von außen fest.
Christoph hämmerte gegen das Holz. »Nein! Nein! Nein!«
Es kostete mich alle Kraft, die Tür zuzuhalten. Das Schloss hatte ich bei meinem Ausbruchsversuch zerstört.
Plötzlich hörte Christoph auf zu hämmern. Er sprach nun sehr leise und ich presste mein Ohr gegen die Tür.
»Bitte. Bitte nicht! Ich habe ihn dir versprochen und du sollst ihn haben. Bitte. Ich flehe dich an.« Dann brüllend: »Du hast mir ewige Jugend versprochen, wenn ich dir genügend Männer bringe! Du hast es versprochen!«
Ein zischender Laut folgte, der mir durch Mark und Bein ging.
»Nein!«, schrie Christoph »Dir bleibt noch Zeit! Er ist da draußen, ich bringe ihn dir, ich bringe ihn dir, ich …«
Ein gewaltiger Donnerschlag vermischte sich mit einem gellenden Schrei. Ich schrak zurück, prallte mit dem Rücken gegen die Wand und sackte zusammen.
Die Tür öffnete sich knarrend. Nur einen Spalt breit. Ich wollte nicht sehen, was die Kreatur mit ihm angestellt hatte, also kämpfte ich mich auf die Beine und humpelte, so schnell ich konnte davon.
4
Ich habe das Haus nie wieder betreten. Monate sind seitdem vergangen und bisher ist noch niemand Neues eingezogen.
Vielleicht ist das besser so. Christoph hatte gesagt, ihr bliebe noch Zeit. Also vermute ich, dass die Frau das Fleisch von Männern zum Leben braucht. Warum es ausgerechnet Männer sein müssen, weiß ich nicht.
Ich habe einige Nachforschungen über männermordende Dämonen betrieben und bin immer wieder auf Lilith und den Sukkubus gestoßen. Das Wesen in dem Haus gegenüber ist etwas anderes, da bin ich mir sicher. Und es hätte mich fast erwischt.
Kurz nach meinen Erlebnissen wollte ich mit Freunden darüber sprechen. Mir war egal, ob sie mich für verrückt hielten. Doch jedes Mal, wenn ich davon anfing, begann ich zu schwitzen und zu zittern. Und nicht selten, spürte ich direkt hinter mir eine Präsenz.
Manchmal sehe ich die alte Frau nachts am Fußende meines Bettes stehen. Mein Körper ist in diesen Momenten wie gelähmt, ich kann nichts anderes tun, als sie anzustarren. Hin und wieder bewegt sie sich. Diese schrecklichen, abgehackten Bewegungen wie in einem dieser japanischen Horrorfilme. Dann streckt sie eine Hand nach mir aus oder beugt sich über das Bett. Und manchmal verharrt sie nur.
Vielleicht hat es damals bei Christoph auch so angefangen. Vielleicht hat sie ihm mit der Zeit Versprechungen gemacht, weil sie jemanden braucht, der die Männer zu ihr lockt. Sollte es so gewesen sein, geht sie in meinem Fall anders vor. Mich möchte sie nicht überzeugen zu jagen, ich selbst bin der Gejagte.
Ist es, weil ich ihr entkommen bin?
Es wird schlimmer. Ich sehe sie nun auch tagsüber. Anfangs sah ich sie an der anderen Straßenseite stehen. War ich unterwegs, fiel sie mir in düsteren Ecken auf. Doch je öfter sie mir erscheint, desto mehr verringert sich der Abstand zwischen uns.
Heute war mir, als stünde sie keinen Meter hinter mir. Ich tat nichts weiter, als über diesen Tagebucheintrag nachzudenken, habe abgewogen, ob ich ihn schreiben sollte.
Die alte Frau ist immer da und oft weiß ich nicht, ob ich sie mir nur einbilde. Ich verliere den Verstand. Selbst jetzt ist es, als blicke sie mir über die Schulter. Ich spüre ihren Atem in meinem Nacken.
Ich habe Angst. Schreckliche Angst. Und ich weiß, streckt sie das nächste Mal den Arm aus, wird sie mich packen.
Liebes Tagebuch, ich möchte nicht sterben.